Vor ein paar Tagen ließen sich nicht wenige Fans des WoW TCGs über Blizzards Ankündigung schocken, dass man mit „Hearthstone“ ein eigenes digitales Sammelkartenspiel entwickelt, das eng mit World of Warcraft verbunden werden sein. Ich sage hier ganz bewusst „ließen sich schocken“, da es meiner Ansicht nach nicht die Absicht Blizzards war, Fans des WoW TCGs vor den Kopf zu stoßen.
„Wenn man schon ein Online-TCG entwickelt, warum setzt man dann nicht einfach das bestehende und funktionierende WoW TCG als Online-TCG um?“ – so oder so ähnlich lautete die Frage, die sich zahlreiche Spieler stellten, nachdem sie von der Ankündigung hörten. Im nächsten Schritt folgert der paranoide / pessimistische Spieler relativ mühelos, dass dies ein klarer Beweis für Blizzards mangelndes Vertrauen in das bestehende TCG ist und wir entsprechend davon ausgehen können, dass es innerhalb der nächsten ca. 2 Jahre eingestellt werden wird.
Weiteres „Feuer“ in der Diskussion liefert die Tatsache, dass Magic Online mittlerweile erheblich zum Erfolg von Wizards Konkurrenzprodukt beiträgt (ich erinnere mich daran, gelesen zu haben, Magic Online würde ein Drittel des Gesamtgewinns, der durch Magic erwirtschaftet wird, ausmachen). Warum also nicht einfach denselben Schritt beim WoW TCG gehen?
Blick zurück
An dieser Stelle möchte ich ein Detail in den Raum werfen, das mittlerweile ganz bewusst in den Teil des Langzeitgedächtnisses eines jeden TCG-Spielers verfrachtet wurde, wo man nur zufällig darüber stolpert, wenn man gerade mal wieder eine 2-stündige Meditationsorgie einlegt: Als Magic Online ursprünglich angekündigt wurde, diskutierte auch die gesamte Magic-Spielergemeinde auf äußerst kontroverse Weise über das „Konkurrenzprodukt“ zum traditionellen TCG. Bedenkt man, wie sehr die Magic Community mittlerweile auf „Modo“ schwört, springt einem hier unweigerlich eine gehörige Portion Ironie entgegen.
Meiner persönlichen Einschätzungen ersparte sich Wizards of the Coast hier sehr viel Vorschuss-Kritik dank ihres Angebots, ein komplettes Set einer beliebigen Erweiterungen, die ein Spieler sich über Magic Online „erspielt“ / „frei gekauft“ hat, auch „offline“ einlösen zu können. Sprich: Habe ich mir auf die ein oder andere Weise wirklich jede einzelne Gatecrash-Karte im Online-Spiel geholt, so kann ich diese für die traditionelle TCG-Version des Sets eintauschen.
Die komplette Diskussion „werden Spieler nur noch online spielen?“ / „Bedeutet dies das Ende des traditionellen Magic?“ / „Haben die Online-Karten überhaupt einen reellen Wert, wenn das Spiel mal eingestellt wird?“ wurde auf diese Weise mehr oder weniger im Keim erstickt. „Präventives Community Management“ erster Güte lautet hier mein Urteil.
Ich gehe nicht davon aus, dass Cryptozoic oder Blizzard (nicht mal in Kooperation miteinander) diesen Service leisten wollen oder können.
Magic ist nicht WoW TCG
Weitere Faktoren, u. a. dass Magic eben einfach nicht WoW TCG ist und es bei Magic eine gefühlt 20mal größere Community gibt, die auch den Absprung einiger Leute verträgt, die zukünftig nur noch am PC spielen würden, lassen in meinen Augen nur noch den Schluss zu, dass sich Magics erfolgreiche digitale Strategie nicht einmal ansatzweise auf WoW übertragen lässt.
Ebenfalls einwerfen möchte ich, dass man keine oder nur wenige WoW MMO Spieler für das TCG gewinnt, wenn man das TCG auch als digitale Variante anbietet. Ja, eventuell wird die Hemmschwelle, das Spiel mal anzutesten, etwas niedriger, wenn der Typ Spieler, der es gewohnt ist, den ganzen Tag vor dem PC zu sitzen, auch das Kartenspiel zukünftig am PC spielen kann. Wird er das dann letzten Endes auch tun? Ich bezweifle es, einfach weil das TCG recht zeitaufwändig ist, es „eine eigene Welt“ ist und man es nicht einfach mal so nebenbei anfängt. Insbesondere dann, wenn man schon erheblich viel Zeit in das MMO „investiert“.
Doch selbst wenn man mir hier nicht auf breiter Spur zustimmt und den ein oder anderen Punkt anders sieht, so bleibt für mich noch das letzte Joker-Argument: Es ergibt aus Marketing-Sicht einfach deutlich weniger Sinn. Wizards hatte bereits eine bestehende und riesige Spielergemeinde. Darüber hinaus hat man das umfangreichste OP Programm aller größeren TCGs.
Mit Magic Online bot man den Spielern eine weitere Möglichkeit, dem Lieblingshobby nachzugehen. Diese spielen zwischen den nahezu überall angebotenen wöchentlichen Friday Night Magic Events, den zahlreichen PTQs und Grand Prix Magic Online. Um dann am nächsten Wochenende wieder auf ein größeres Event zu fahren.
Beim WoW TCG muss ich im Grunde schon froh sein, wenn ich einen halbwegs gut besuchten Battleground in meiner Nähe habe. Ich spiele nicht „zwischen“ den „vielen WoW TCG Events“ mal kurz ein wenig WoW TCG Online, ich spiele höchstens statt den wenigen Events, die es in meiner Nähe gibt, die Online-Variante des Spiels. Es „ergänzt“ das bestehende Programm deutlich weniger, es komplementiert es nicht, es birgt vielmehr die Gefahr, es für viele Spieler, die mit den aktuell angebotenen Programmen schon nicht unendlich zufrieden sind, zu ersetzen.
Vorteile von Hearthstone
Den zahlreichen Berichten zufolge, von denen ich sogar einige halbwegs aufmerksam gelesen habe, ist Hearthstone ein (extrem) abgespecktes TCG. Das ist gut. Ich nehme jemandem, der mit dem Genre bisher nichts anfangen konnte, keine Berührungsängste, wenn ich ihm ein Spiel anbiete, das bereits seit 5 Jahren voll im Gang ist. „Neustarts“ sind immer gut, wenn ich einen maximalen Effekt in der Zielgruppe „experimentierfreudige Neueinsteiger“ erzielen möchte. Darüber hinaus weiß nicht jeder Spieler die hohe strategische Tiefe des WoW TCGs zu schätzen. Es wirkt schlichtweg überwältigend, wenn man nicht schon länger am Ball ist bzw. ein paar andere TCGs zuvor gespielt hat, die hier etwas Grundwissen vermitteln konnten.
Soweit ich weiß kann Hearthstone insbesondere auch asynchron gespielt werden. Hierzu hatte Damien einen etwas umfangreicheren Post auf Facebook erstellt, der diesen Vorteil in den Fokus rückte. Ich kann den grundsätzlich positiven Tenor bezüglich dieses Punktes sehr gut nachvollziehen, habe ich doch auch regelmäßig 8 Ascension-Partien offen, in denen ich dann oft nur ein paar Moves zwischen 2 U-Bahn Haltestellen mache. Zeit für ein komplettes Game wäre da nicht gewesen.
Insofern denke ich, dass Blizzard den richtigen Schritt gegangen ist. Das Spiel wird nicht das Schicksal des WoW TCGs besiegeln (außer man gräbt den wichtigen Vertriebskanal der Lootkarten ab, indem man die kosmetischen Upgrades für den WoW MMO Charakter auch über Hearthstone erspielbar macht).
Vielmehr geht man mit der Zeit und wartet mit einem Produkt auf, das die besonderen Möglichkeiten von Smartphones und Tablets – die insbesondere auch mobil immer gern gesehene Begleiter sind – voll ausnutzt. Im Grunde schon witzig – vor 100 Jahren gab es lediglich Baseball-Sammelkarten, ab den 80ern war die Technik weit voran geschritten, so dass man sich immer häufiger digitalen Hobbies, wie Spieleautomaten zuwandte, es folgten die „modernen Sammelkartenspiele“, angefangen mit Magic bis hin zum WoW TCG und jetzt kombiniert man die beiden letzteren Faktoren und schafft digitale Sammelkartenspiele. Ich bin gespannt, wo uns die Reise im nächsten Schritt hin führen wird, doch in jedem Fall bin ich nicht großartig beunruhigt, dass jetzt plötzlich niemand mehr das WoW TCG spielt, nur weil ein neues Online-Kartenspiel von Blizzard kommt.
Wie seht ihr das? Glaubt ihr, eine Online-Version des bestehenden TCGs wäre gut für das Spiel gewesen oder seht ihr viele der von mir gelisteten Punkte ähnlich und glaubt ebenfalls, dass es nicht die beste Idee gewesen wäre? Und wie hoch schätzt ihr die Chancen ein, dass Hearthstone über Umwege doch noch MMO Spieler zum WoW TCG bringen kann?